13. Februar: Halbzeit

 

Nach langer Abstinenz sitze ich mal wieder vor der Tastatur, um einen Eintrag zu schreiben. Dieser hat folgenden Anlass: ein halbes Jahr ist nun bereits vergangen, seit ich hergekommen bin! Um diese sechs Monate darzustellen, möchte ich eine Idee übernehmen, die ich auf dem Blog einer anderen Freiwilligen in Indien gesehen habe: ein Alphabet, bei dem jeder Buchstabe für etwas steht, dass man aus den vergangenen sechs Monaten mit seinem Gastland verbindet. Dieses werde ich nun also versuchen, über Finnland zu erstellen.

 

Dabei gilt wie immer folgendes Prinzip: ich rede über ernste Dinge, aber ein kleiner Scherz am Rande über Land und Leute sei mir gegönnt. Es mag auch sein, dass ich nicht zu jedem Buchstaben etwas schreibe. Xylophonunterricht hatte ich hier zum Beispiel nicht und sonst fängt ja nun wirklich nichts mit x an.

 

Na dann, auf geht's:

 

A wie Avantouinti: es geht los mit der finnischen Tradition des Schwimmens in einem Loch im Eis eines zugefrorenen Sees. Inzwischen habe diese Erfahrung hinter mich gebracht und würde es sofort wieder tun. Das Gefühl, wie der Kreislauf in Schwung kommt während des Wechsels von heißer Sauna zu kaltem See ist sehr wohltuend und erfrischend.

 

B wie Barrieren: verschiedene Dinge stehen im Weg, wenn man sich in einem anderen Land einleben will: Sprache natürlich, allerdings auch eventuell Mentalität, Ortsunkundigkeit, Einsamkeit oder ganz banal anderes Wetter. Vieles hiervon habe ich meiner Meinung nach gut überwunden, zumindest glaube ich, dass ich mich sonst weniger wohl fühlen würde. Ganz verschwunden sind diese Barrieren jedoch nicht.

 

D wie Dankbarkeit: eine Sache, die ich mir aus Finnland unbedingt mitnehmen will, ist es, viel und oft danke zu sagen. Auf Finnisch sagt man "kiitos", umgangssprachlich auch "kiitti", und es ist meiner Meinung nach sehr schön zu sehen, wie oft dieses Wort hier benutzt wird, auch in Situationen, wo mir der Gedanke dazu erst gar nicht käme. So ist es nicht selten, dass man beim Aussteigen aus dem Bus von Fahrgästen ein beschwingtes "Kiitos!" in Richtung BusfahrerIn vernimmt. Das ist vielleicht nicht zwingend nötig, eine nette Geste aber auf jeden Fall. Und genauso ist es eine Art, die ich mir gerne angewöhnen will.

 

E wie einheimisch: bin ich das schon? Nein, das würde ich nicht sagen. Ich kenne mich zwar inzwischen gut aus hier, werde auf den ersten Blick für jemanden von hier gehalten und fühle mich hier insgesamt sehr wohl. Ich sehe mich trotzdem aber als Gast hier weiterhin, zumal ich ja auch nicht plane, hieraus mein tatsächliches Heim zu machen. Fragestellungen wie "Wo ist zuhause?" und anderen, die in eine ähnliche Richtung gehen, beschäftigen mich hier allerdings oft. Bei längerem Auslansaufenthalt sehe ich das aber als ganz natürlich an.

 

F wie finnische Sprache: ich muss sagen, dass ich es doch erstaunlich finde, wie schnell man sich eine Sprache zumindest auf ein Grundniveau aneignen kann, wenn man dies muss. Ich bin nun lange nicht fließend, aber doch stolz auf das Niveau, das ich schon erreicht habe. Ich habe mir allerdings vorgenommen, noch mehr tatsächlichen Lernaufwand zu beteiben, da in den letzten Wochen vieles einfach durch das Sprechen und Hören gekommen ist. Mit mehr Lerneinsatz zuhause möchte ich meine Kenntnisse des Finnischen noch effektiver ausbauen.

 

G wie Gastrolle: Finnland ist mein Gastland, so ist der offizielle Terminus. Das heißt allerdings nicht, dass das Land Finnland Gast ist, sondern ich dort. Und als solcher hat man Pflichten und Erwartungen, denen es nachzukommen gilt. Mit der Aussucht, dass der Gastaufenthalt beschränkt ist hinsichtlich der Dauer merkt man schon, dass die Motivation z.B. die Sprache zu lernen nicht für alle die Gleiche ist. Ich persönlich konnte für mich allerdings feststellen, inwiefern ich mich den Gepflogenheiten hier anpassen will und inwiefern ich mir beibehalte, was ich aus Deutschland kenne, selbst wenn es um banale Dinge geht. Der Grad zwischen Anpassung und Verlust eigener Wert kann manchmal sehr schmal sein, ebenso aber zwischen Anpassung und Ignoranz.

 

H wie Heimweh: Heimweh ist etwas, das kommt und geht, ohne, dass man immer weiß, warum man es nun geade hat oder nicht, so viel habe ich darüber inzwischen verstanden. Ich muss sagen, dass es mir damit insgesamt sehr gut ging und ich eigentlich höchstens eine Woche hatte, in der mich Heimweh mental doch etwas heruntergezogen hat. Allerdings nie zu dem Ausmaß, dass ich meinen Aufenthalt in Finnland anzweifeln würde, was für mich ein bestötigendes Zeichen ist, mit dem Auslandsjahr eine gute Entscheidung getroffen zu haben. Ich habe auch gemerkt bei Überlegungen über das Thema Heimat, dass ich nicht hier bleiben werde. Andere Frewillige haben dafür schon erste Schritte getan, für mich kommt es nicht infrage. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt meines Lebens.

 

I wie international: dadurch, dass nach Finnland Freiwillige aus aller Welt kommen, konnte ich mir ein internationales Netz an Freunden aufbauen. Es ist unglaublich interessant, die verschiedenen Mentalitäten in solchen gemischten Gruppen zu beobachten und Herkunfstgeschichten zu hören, die mal mehr, mal weniger anders als die Eigene sein können.

 

 

J wie Jari, Jere, Jori, Jesse und alle weiteren finnischen hauptsächlich Jungennamen, die mit J anfangen und die ich beim besten Willen nicht unterscheiden oder in mein Hirn kriegen kann. Ein ehrliches Entschuldigung an alle, deren Namen ich schon entstellt oder vertauscht habe, es war nicht böse gemeint. Den Dreh beim Namenlernen hier habe ich jedenfalls alles andere als raus.

 

K wie Karaoke: es ist nur wohl noch eine Frage der Zeit, bis ich mich das erste Mal dieser Beschäftigung ergeben werde, von der ich nie wusste, dass sie in Finnland so populär ist. Inzwischen könnte ich sogar auch das ein oder andere Lied auf Finnisch mitsingen. 

 

L wie Lappland: ein wunderschönes Gebiet, in dem ich bis jetzt viel zu kurz war, was sich aber bald ändert zum Glück. Mich reizt die Menschenleere, die dort herrscht, man kann für sich sein. Man muss dafür vielleicht nicht alleine auf eine Huskyfarm am Ende der Welt gehen, aber ich kann ähnliche Erfahrungen nur empfehlen. Es tut gut, einfach mal weg zu sein von der Außenwelt.

 

M wie Milchprodukte: ich glaube, dies erfordert inzwischen keine Erklarungen mehr. Und ja, inzwischen erwische ich mich auch bei einem Glas Milch zum Mittagessen. Was soll's?

 

N wie noni: der Klassiker der finnischen Sprache insofern, dass es alles bedeuten kann. Je nach Intonation und Stimmlage reicht es von "Na dann mal los" bis "Das hast du jetzt nicht gesagt!". Eine kurze Suche auf Google reicht, um dazu mehr Beispiele zu finden.

 

O wie oho: das finnische Equivalent zu "Huch" und inzwischen Teil meines Standardvokabulars. Es ist lustig an sich selbst zu beobachten, wie man sich bestimmte Äußerungen, die man andauernd hört, unbewusst selbst aneignet.

 

P wie Projekt: ich habe lange nicht mehr berichtet, wie es mir dort so ergeht. Allgemein gesagt gab es ein paar Aufs und Abs, im Moment geht es wieder Richtung Auf. Dem möchte ich bald aber einen eigenen Post widmen. (Hat der da etwa gerade angekündigt, jetzt wieder regelmäßiger schreiben zu wollen?!)

 

R wie Reisen: selten habe ich so viele neue Städte und auch Länder gesehen wie im letzten halben Jahr: ich war in drei neuen Ländern (Finnland, Lettland, Estland) und habe eine noch viel größere Zahl an Städten bereist, in die ich zuvor keinen Fuß gesetzt hatte. Und wenn ich an die Reisen denke, die mir noch bevorstehen, ist die Vorfreude schon gewaltig.

 

S wie Selbstständigkeit: dadurch, dass ich hier alleine wohne, bin ich definitiv selbstständiger geworden, was auch ein großer Wunsch meinerseits war. Man muss damit beginnen, den haushalt zu organisieren mit Einkaufen, Waschen und allem drum und dran. Sicherlich keine schlechte Lektion.

 

T wie teuer: hierzu brauche ich nicht viel zu sagen außer: es ist halt teuer. Ich muss aber sagen, dass ich mich an die Preise gewöhnt habe und es inzwischen so gemanaged kriege, dass es auch mit den Reisen oder eventuellen abendlichen Ausflügen nicht knapp wird.

 

W wie Winter: die letzten Wochen hatten wir eigentlich nur Minusgrade und der Schnee dachte gar nicht erst daran zu verschwinden. Und das finde ich auch ziemlich schön, muss ich sagen. Der finnische Winter gefällt mir, wenn wir ihn Helsinki auch in abgeschwächter Form haben. Oder gerade deshalb. Jedenfalls ist der liegenbleibende Schnee eine ständige Verbesserung der Laune und macht besonders die dunkelste Zeit, wenn kaum Sonne ist, erträglicher. Noch ist auch nicht in Sicht, dass ich ihm überdrüssig werden würde.

 

Y wie yö: dies ist das finnische Wort für Nacht. Seinen Platz hier hat es, weil ich es witzig finde und es ein schönes Beispiel ist für das fast absolute Fehlen jeglicher sprachverwandschaftlichen Nähe zum Deutschen oder irgendeiner Sprache aus Europa.

 

Z wie Zeit und zügig: beides fängt mit z an, was gut passt, da beide für mich Hand in Hand gehen. Das halbe Jahr ist sehr schnell rumgegangen und im Anbetracht dessen, was noch geplant ist, wird die zweie Hälfte mindestens genauso schnell vergehen.

 

 

Zum Schluss noch ein kleiner Ausblick: in einer Woche geht es wieder auf Reisen, wovon ich sicherlich nach Möglichkeit erzähen werde. Zusätzlich möchte ich noch einen Bericht von meinem Midterm-Seminar schreiben, das auch schon wieder ein paar Wochen her ist. Ich werde mir Mühe geben, dies die nächsten Tage hinzubekommen. Ansonsten bleibt mir noch zu sagen, dass ich mich sehr auf Jahreshälfte Nummer 2 freue und die Erfahrungen, die noch warten. Also dann: moikka!