15./16. August 2017: Helsinki erkunden und Ankunft im Orientation Camp

 

Zwei ereignisreiche Tage sind hinter mir und auch ein erneuter Ortswechsel. Ich werde heute Nacht nicht nochmal bei Tanja schlafen, sondern zusammen mit anderen Freiwlligen im sogenannten Orientation Camp, das zur Einweisung in unsere Zeit in Finnland dienen soll. Dazu die Tage über mehr, jetzt möchte ich erstmal erzählen, wie ich denn überhaupt hierhin gekommen bin:

Dienstag, 15. August:

 

Um halb acht werde ich durch im Haus herumrennende Kinder geweckt. Der Versuch, noch ein wenig zu dösen, scheitert daran, dass die beiden Welpen gemerkt haben, dass die Tür zu meinem Zimmer ja gar nicht komplett verschlossen ist und diesen Wink des Schicksals gnadenlos ausnutzen, um mich wach zu schlecken. Ich ziehe mich an und bereite meinen Rucksack mit dem Nötigen vor, denn der Plan sieht folgendes vor: Tanja setzt mit Pablo und mir die Kinder ab und nimmt uns dann mit nach Helsinki.

Kurz vor acht haben wir uns alle ins Auto gequetscht und fahren los, vorbei an vielen Feldern und einer Menge Backstein. Auf meine Nachfrage hin erklärt Tanja mir, dass das ein Trend aus den 70-ern war, inzwischen baue man aber auch wieder viel mit Holz.

Bis sie mit ihren Ausführungen fertig ist, sind wir auch schon in Helsinki. Tanja will uns an ihrer Arbeiststelle absetzen, doch vorher machen wir noch einen kurzen Abstecher zur Keskuspuiston Ammattiopisto, dem Ort, wo ich in zwei Wochen einziehen und ein Jahr bleibe werde. Wie sich herausstellt, befindet sich mein Apartment nur wenige hundert Meter von Tanjas Arbeitsplatz entfernt. Tja, die Welt ist auch in Finnland nicht größer.

Nachdem wir einmal kurz vorbeigefahren sind und ich meine baldige Behausung zumindest von außen begutachten konnte, lässt uns Tanja an ihrer Arbeitsstelle raus. Sie erklärt uns, wie wir das Ticket für den öffentlichen Nahverkehr zu benutzen haben, das sie uns mitgibt, und wünscht uns einen schönen Tag.

Wir steigen in die Straßenbahn ein, deren Linienplan natürlich vor wenigen Tagen geändert worden ist, sodass auch Tanja nicht ganz genau weiß, ob wir damit richtig fahren. Eine knappe Viertelstunde später kommen wir aber doch am Hauptbahnhof an, ein wirklich schönes Gebäude, wie ich finde. Für ausführliches Sightseeing haben wir aber erstmal keine Zeit, denn gemäß unserer Generation ist es zunächst Pablos und meine höchste Priorität, an eine SIM-Karte zu kommen. Er befindet sich in größerer Not, da er gar kein Netz hat; ich will nur den deutschen Preisen für mobile Daten entkommen.

Dank Stadtplanapp auf meinem Handy finden wir das große Einkaufszentrum Kamppi, das Tanja uns empfohlen hat und organisieren uns das gesuchte Objekt. Unbegrenzte Daten für 17€ im Monat - Finnland, ich liebe dich!

Wir beschließen allerdings, die SIM-Karten nicht direkt einzusetzen, sondern mit Tanjas Hilfe, da ich zwar gewisse Finnischkenntnisse habe, aber sicher ist sicher.

Beruhigten Gewissens machen wir uns auf, um die Stadt richtig zu erkunden. Wir schlagen uns durch einige schöne Straßen zum Meer durch. Wir laufen die Küste entlang Richtung Hafen. Der finnische Sommer schlägt dabei nochmal richtig zu, sodass wir, während wir Boot für Boot passieren, sogar ein bisschen ins Schwitzen kommen. Der Blick aufs Meer ist echt schön, man kann die vielen kleine Inseln, für die Finnland berühmt ist, sehen.

Nach einer guten halben Stunde entland der Küste erreichen wir den Hauptteil des Hafens und sind damit auch in Nähe der Innenstadt. Nach dem Marsch haben wir beide Hunger und setzen uns aus Geldspargründen ins nächste MCDonald's. Wir genießen kurz das WLAN, um dann noch ein wenig durch die Innenstadt zu schlendern, bis Tanja uns wieder aufsammelt. Heute geht es mir erstmal darum, einen ersten Eindruck von der Stadt zu bekommen. Die ganze Stadt an einem Tag aufnehmen kann ich selbstverständlich nicht, falls das überhaupt geht. Ich werde noch genug Zeit haben, um mir einen genaueren Eindruch zu verschaffen und alles unter die Lupe zu nehmen; für heute möchte ich nur ein wenig herumschlendern und Impressionen sammeln. Diese sind zu meiner Freude durchweg positiv. Die Architektur in der Innenstadt gefällt mir sehr gut, auch wenn mir der Begriff für den vorherrschenden Stil gerade nicht einfällt. Auch die Atmosphäre begeistert mich. Es sind viele Menschen unterwegs, sodass man merkt, dass man in einer Großstadt ist, jedoch fühlt es sich nie aufgeregt oder hastig an, wie man das aus den Menschenmassen anderer Großstädte kennt. Est herrscht insgesamt einfach ein sehr angenehmes Flair. Hier ein paar Eindrücke aus der Innenstadt Helsinkis:

Während wir rumschlendern und zwischendurch noch den ein oder anderen Kaffee trinken, vergeht die Zeit wie im Flug und ich kriege eine Nachricht von Tanja, dass sie uns bald einsammeln wird. Vorher gibt es aber noch einen Schockmoment: Pablo hat seine SIM-Karte verloren. Wir suchen noch einmal alles ab, bleiben aber unfündig. Im Kamppi treffen wir Tanja und besorgen eine zweite Karte für Pablo. Danach geht es jedoch nicht direkt nach Hause zu Tanja, sondern wir machen eine kleine Spritztour in den Osten Helsinkis, damit auch Pablo seine Unterkunft und Arbeiststelle von außen begutachten kann. Wir schlagen uns langsam durch den Berufsverkehr und reden über dies und das. Pablo schläft auf der Rückbank ein, der Jetlag macht ihm zu schaffen. Ich bin dagegen munter und lausche Tanjas Ausführungen über Mietpreise in Helsinki.  Bei unserem Gespräch entwickeln wir eine Art eigene Sprache, denn Tanja hat lange Jahre Deutsch gelernt und weiß manches Wort besser auf Deutsch als auf Englisch und auch mir fehlt mal die ein oder andere Vokabel. Dies führt dazu, dass wir einfach deutsche Wörter in unser Englisch einfließen lassen, wodruch Sätze wie "What is that Baustelle?" oder "If you live in a Reihenhaus" entstehen. Naja, solange wir wissen, was gemeint ist...

Rechtzeitig zur Ankunft bei seinem Projekt kehrt Pablo dann unter die Wachenden zurück und ist ganz aus dem Häuschen, denn sein Projekt liegt mit wunderschönem Ausblick direkt am Meer. Schließlich fahren wir dann zurück zu Tanja nach Hause. So langsam werde ich aber auch müde vom ganzen Rumgelaufe den Tag über. Bei Tanja angekommen passiert nicht mehr viel, außer, dass wir die SIM-Karten erfolgreich einsetzen. So lassen wir einen eindrucksreichen Tag in Ruhe ausklingen und ich bin gespannt auf morgen, denn dann geht es ins On-Arrival-Training, oder auch Orientation Camp. Ich weiß noch nicht, welchen Begriff ich besser finde. Jedenfalls werde ich dort die ganzen Freiwilligen kennenlernen, die nicht aus Deutschland kommen und mit ihnen gemeinsam auf die Zeit hier vorbereiitet werden. Mit dieser freudigen Aussicht im Hinterkopf schlafe ich irgendwann ein.

Mittwoch, 16. August:

 

Diesen Morgen ist alles ein bisschen entspannter. Die Kinder müssen erst um 9Uhr in der Schule sein, das heißt, eine Stunde länger schlafen. Wie am Vormittag wird Tanja uns wieder mit nach Helsinki nehmen, da sie noch bis 14Uhr arbeiten muss, bevor sie uns zum Orientation Camp (wie ich es ab jetzt immer nennen werde) fährt.

Nicht lange später steigen wir also wieder in die Straßenbahn, um ins Zentrum der Stadt zu kommen. Dort setzen wir uns in den Hauptbahnhof, denn hier werde ich gleich zumindest ein bekanntes Gesicht schonmal wiedersehen: Johannes, einen der anderen deutschen Freiwilligen, die ich in Deutschand beim Vorbereitungsseminar kennengelernt habe. Er ist gestern erst angekommen und hat zusammen mit Anette aus Polen schon bei seiner zukünftigen Gastfamilie übernachtet. Ursprünglich war geplant, dass auch Max, der dritte deutsche Freiwillige im Bunde, sich mit uns trifft. Wegen des vielen Gepäcks, das er mit sich herumschleppen müsste, will er dann aber doch erst gegen 14Uhr in die Stadt kommen, denn um 14:30Uhr ist der Treffpunkt für alle Freiwilligen am Hauptbahnhof. Von dort werden sie dann mit einem Bus ins Orientation Camp gefahren. Ich schreibe bewusst nicht wir, da Tanja Pablo und mich direkt ins Camp fahren wird, da ihr Haus sowieso quasi schon auf halber Strecke zum Camp liegt.

Irgendwann nach 11Uhr stoßen Johannes und Anette dazu. Pablo hat sich immer noch nicht ganz von seinem Jetlag erholt; er bleibt im Hauptbahnhof und passt auf das Gepäck auf. Wir restlichen drei machen uns auf den Weg in die Stadt, allerdings mit Umweg Kamppi, da auch Johannes sich die unbegrenzten Daten nicht entgehen lassen will. Nur Anette scheint das deutsche Glück nicht ganz nachvollziehen zu können.

Verrichteter Dinge schlendern wir durch die Stadt bis zum Hafen. Es ist schön mal wieder Deutsch zu reden, das hält allerdings nicht lange, da auch Anette sich gerne am Gespräch beteiligen möchte. Beim Hafen gibt es eine Sauna direkt am Meer. Wir gehen zwar nicht rein, genehmigen uns aber einen Kaffee und genießen ein bisschen den Ausblick. Dabei erzäht Anette ein bisschen von sich: mit 25 ist sie schon etwas älter als wir beiden Deutschen mit süßen 18 und 19. Sie kommt aus Warschau, wo sie auch schon fertig studiert hat und als Sprachtherapeutin arbeitet. Es ist schon lustig, wie man hier zusammengewürfelt wird.

Leider haben wir nicht allzu viel Zeit, und die vergeht auch noch viel zu schnell. Wir machen uns auf den Rückweg zum Hauptbahnhof, wobei wir uns auf dem Markt am Hafen unterwegs noch etwas zu essen holen. Ich habe kurz Hoffnung, Max noch zu erwischen, aber Pablo und ich müssen die Bahn nehmen, um zu Tanjas Arbeitsstelle zu gelangen, diesmal holt sie uns nicht in der Stadt ab. Dass wir uns verpassen ist aber nicht schlimm, es verzögert das Wiedersehen nur um ein paar Stündchen.

Ehe wir uns versehen, waren wir wieder bei Tanja zuhause, haben unser Gepäck (diesmal deutlich geübter) ins Auto verfrachtet und fahren jetzt Landstraße über Landstraße Richtung Camp. Unterwegs witzelt Tanja noch ein wenig über das eher schüchterne Wesen der Finnen, das zur Folge hat, dass es Dörfer, wie man sie in Deutschland kennt, nicht gibt, da jeder mindestens ein Feld Abstand zum Nachbar haben möchte. Das meint sie zwar nicht ernst, wenn man aber so durchs finnische Land fährt, scheint doch das berüchtigte Körnchen wahrheit drin zu stecken. Wir fahren vorbei an vielen Feldern, aber kaum größeren Ansammlungen von Häusern. Es stehen vereinzelt welche am Straßenrand, größere Siedlungen gibt es aber tatsächlich nicht.

Als wir schließlich auf den zielführenden Waldweg einbiegen, sind die restlichen Campteilnehmer schon seit einer halben Stunde da und Max schreibt mich an, wo ich denn bleibe. "Gleich da", antworte ich, während Tanja gekonnt über ein paar Baumstümpfe auf dem Boden wendet, da wir die Einfahrt zum Camp verpasst haben. Im zweiten Anlauf erwischen wir dann den richtigen Weg und kommen zu einem Begrüßungskommando aus zwei Personen an. Dabei handelt es sich um zwei waschechte Finnen: Janne, den Campleiter, und Mari von meiner finnischen Gastorganisation.

Während wir ausladen, schaue ich mich schonmal ein wenig um: das Camp liegt an einem kleinen Hügelchen umgeben von Wald etwa 100m von einem See entfernt. Es gibt drei Häuschen, das mittlere etas höher als die beiden anderen. Ich werde in das rechte geführt, da dort die Zimmer sind. Ich trete ein in eine Runde von etwa 20 Menschen, die sich alle noch etwas verlegen mustern. Ich stelle meine Sachen ins Zimmer, verbringe dort aber auch nicht mehr Zeit. Ich setze mich zu Johannes und Max. Mit letzterem tasuche ich mich kurz aus, bis der erste Programmpunkt beginnt: Kennlernspiele! Viel mehr wird heute auch nicht stattfinden, viele sind von weit weg hergekommen und haben nicht so viel Energie. Ein paar ulkige Spielchen lockern aber die Stimmung und bringen uns ein bisschen näher zusammen. Es herrscht wieder eine ähnliche Stimmung wie auf den Seminaren, die ich vorher besucht hatte: wir kennen uns zwar alle nicht wirklich, aber sind aus dem gleichen Grund hier. Darauf kann man gut aufbauen.

Ich möchte unsere Runde einmal kurz aufführen: neben Johannes und Max kommt auch noch Sarah aus Deutschland, die einzigen weieteren bekannten Gesichter sind Pablo und Anette. Dann gibt es noch einen weiteren Pablo aus Costa Rica, Duy aus Vietnam, Carmen aus Spanien, Luisana und Fernada aus Mexiko, Ghansham und Jibran aus Indien, Mirka aus der Slowakei, Kyoko aus Japan, Sevgi aus der Türkei, Emily aus Kenia und Tiago aus Brasilien. Dann gibt es noch ein paar Betreuer, die Finnischlehrer und Leute, die in der Küche arbeiten werden. Alle natürlich ehrenamtlich.

Es dauert ein wenig, bis ich mir all diese Namen merken kann, aber irgendwann geht es doch. Wir spielen noch ein bisschen Kartenspiele und gehen dann alle nicht allzu spät ins Bett. Den nächsten Eintrag werde ich über die ganzen zwei Wochen hier im Camp schreiben, denn es steht ein ordentliches Programm an. Ich freue mich aber, dabei die ganzen anderen Freiwilligen kennenlernen zu können und schonmal ein paar Kontakte zu knüpfen, bevor wir endgültig in alle Richtungen Finnlands entlassen werden.